In einem grünen See schwimmt ein Schiff. Das Schiff ist ein Stadion und sieht aus wie ein Architekturmodell. Sein Rund, seine Ränge, die allgemeinen Dimensionen haben sich als Berliner Olympiastadion zum Vorbild genommen. Die Maße folgen im Verhältnis von 1 : 100 dessen gigantomanen Größenordnungen. Aber das Objekt, das vor uns liegt, läßt wesentliche und wichtige Details unberücksichtigt. Es hat zum Beispiel keine Ein - und Ausgänge, keine Aufgänge, keine Balustraden, keine Überdachungen und Wetterblenden, keine Absperrgitter, keine Displays und keine Flutlichter. Es ist kein Modell, sondern eine Skulptur. Eine Skulptur, die sich auf die Wirklichkeit des Sports bezieht und die sich ihr im selben Augenblick wieder entzieht.

Eine Skulptur, die zugleich realistisch und abstrakt ist.Nicht nur die Eliminierung spezifischer Details stützen die skulpturale Qualität des Objekts, sondern auch die geometrische Poesie seiner leeren Ränge und der den Rasen simulierende, grüne Velours, mit dem Julia Neuenhausen das oberste Stockwerk in Hannovers Ministerium für Wissenschaft und Kultur ausgelegt hat. Dieser Rasen wirkt wie ein in den Boden gesunkener Sockel. Er bildet die Bühne für den "Einwurf" und stellt sich zugleich selbst aus. Von den Wänden blicken vier Bildtafeln auf das unter ihnen liegende Oval. Auch hier erkennen wir einmal mehr denselben plausiblen Balanceakt zwischen abstraktion und konkreten Verweis. Die schwarz - weißen Kreise auf gelben Grund erinnern an Bälle und Augäpfel.

Als Teil eines abwesenden Ganzen stehen sie für Tausende von Zuschauern, die Woche für Woche den Kämpfen auf dem grünen Rasen folgen. Das Wechselbad ihrer Emotionen spiegelt die Künstlerin durch einen malerischen Umkehrschluß. Das große Schwarz im kleinen Weiß des Augenrings läßt an Pupillen denken, die vor überraschtem Staunen oder ungläubigem Entzücken aufgerissen sind, das kleine Schwarz im großen Weiß an Augen, die sich vor zornigem Ärger oder gespannter Aufmerksamkeit zuziehen.

Im Drama des Spiels erkennt der Zuschauer das Drama des eigenen Lebens , tröstlicherweise von Regeln geleitet, die das Leben oft genug vermissen läßt. Auf dem Spielfeld finden Stellvertreterkämpfe statt. Da geht es nicht nur um Sieg und Niederlage, sondern um Gut und Böse, Helden und Schurken, um Sinnkrisen und Epiphanien.

Genau wie Julia Neuenhausen die parabelhaften Züge des Spiels erkennt, wird deutlich, wenn sie ihrer Rauminstallation einen Ball einfügt, auf dem sich Sätze aus Fußballreportagen von Heribert Fassbender finden. Jedes dieser Statements läßt sich lesen als lakonischer Lebenskommentar oder als pragmatisch philosophische Sentenz.
Da ist die Rede vom "klassischem Fehlstart" oder vom "Prestigeduell" oder vom "Paß ins Niemandsland". Das Spiel wird zur Existenzmetapher. Auf subtile Weise sucht die Künstlerin diese Dimension formal zu akzentuieren. Die fahlrotbraune MDF Faserplatte hat sie als Material für das Stadion gewählt, weil es ihr "geradezu hautfarben"(J.N.) erscheint. Haut ist auch eine Vorstellung, die bei den farbigen Hintergründen der Augenbilder eine Rolle spielt. und bei den Maßen ihrer Skulptur hat sie sich von der eigenen Körpergröße leiten lassen.

Die Installation ist wie ein begehbares Bild und nimmt den Berachter ganz konkret mit hinein in das von ihr verhandelte Geschehen.Schon in der Antike war das Stadion ein beliebter Versammlungsort, der Menschen aller Klassen zusammenführte. Das hat sich bis heute nicht geändert, insofern ist es ein demokratischer Ort par excellence trotz Vip- Lounge und Westkurve, zwei Elemente die Julia Neuenhausen bei ihrer Stadion - Skulptur bei aller Abstraktion geradezu akribisch herausgearbeitet hat. Das Stadion ist auch einer der letzten Orte, wo sich Gesellschaft selbst inszeniert. Die Fans sind nicht nur passive Betrachter, sondern elementarer Teil der Veranstaltung und Vorstellung. Man muß nur sehen , wie das Publikum - vor allem bei einem langweiligen Spiel - die Initiative übernimmt,wie sie singen und skandieren, agieren und agitieren.
Mit dem Motiv der selbstinszenierung gewinnt der Titel der Installation polyvalente Züge.

Der "Einwurf" ist nicht nur als klassischer Spielzug eines Spielers zu verstehen, sondern auch im Sinne der Beteiligung des Zuschauers am Spektakel. Als Spielzug hat der Einwurf eine ganz singuläre Qualität. Der Spieler , der einwirft, ist für den Augenblick des Einwurfs zugleich im Spiel (Feld) und außerhalb. Er ist sowohl Akteur als auch Betrachter. In jenem kurzen Augenblick ist mehr als in jedem anderen die Möglichkeit angelegt , daß sich der Hexenkessel Stadion sekundenlang beruhigt, daß das hektische Geschehen auf dem Spielfeld einfriert und sich für den Einwerfer quasi entwirklicht und so abstrakt wird wie die Installation von Julia Neuenhausen.
Ihr "Einwurf" deutet darüberhinaus auf eine Selbstbeschreibung der künstlerischen Existenz hin. Jeder Künstler ist ein Akteur und Betrachter, hat Teil an der gesellschaftlichen vita activa und folgt zugleich im Beruf und durch Berufung einer vita contemplativa
Jedes künstlerische Werk ist ein Einwurf, mit dem sich der Künstler einbringt in den gesellschaftlichen Diskurs. Mit dem er sich exponiert und der Kritik stellt, mit dem er scheitert oder erfolgreich ist - wobei das oft genug sehr relative Kategorien sind . Als Gestus und Haltung aber ist der Einwurf allemal wichtig. Mit ihm spielt der Künstler dm Betrachter den Ball zu. Es liegt an diesem, ob und wie er ihn aufnimmt.

Michael Stöber

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihre Erfahrung bei der Verwendung zu verbessern. Cookies, die für den grundlegenden Betrieb der Website verwendet werden, sind bereits festgelegt. To find out more about the cookies we use and how to delete them, see our privacy policy.

I accept cookies from this site.
EU Cookie Directive plugin by www.channeldigital.co.uk