Serie – „Faces/Beings“
Keramik glasiert, ca. 8 x 5 cm, 2020 – 2023
Erscheinungen einer Ausnahmesituation
Wir haben es Ende März 2020 in Berlin. Der Frühling hat bereits ganz zart begonnen, dem entgegen vibriert die Stadt seit Wochen in gedeckelter Panik. Wir haben eine Pandemie.
Wir sind weltweit verbunden durch die Furcht vor Corona. So geeint habe ich mich selten gefühlt. In Berlin beginnt der erste Lockdown, der 7 Wochen lang dauern sollte. Ich gehe das fast entspannt an.
Curfews – Ausgangssperren kannte ich bereits von meinen Reisen, allerdings dauerten die maximal 10 Tage.
In fernen Ländern festzusitzen, weil Indira Gandhi ermordet wurde (1984), oder die Türme des World Trade Centers einstürzten (2001), dann die Ausschreitungen in Gujarat, die mich 7 Tage in Delhi bei meinen Freunden Geeta Kapur und Vivan Sunderam festhielten oder der Anschlag auf die beliebteste Touristenmeile auf Bali, Kuta (2002)
Das hier war etwas völlig anderes. Es war, als hielten jetzt alle die Luft an. Die Bedrohung durch den Mensch diesmal nur indirekt, übers Atmen, über die feindlichen Aerosole – Terror der Viren.
Überall die Möglichkeit sich zu infizieren, durch die Nachbarn, den Passanten, der Verkäuferin.
Eine ständige Unruhe und Anspannung machte sich breit. Die Medien, die ich sicher mehr verfolgte, als je zuvor, zeigten mir in Dauerschleife besorgte Talking Heads, maskierte, kontaminierte, mit sonderbar erscheinenden Gesichtszügen.
Gleichzeitig war die Abwechslung an menschlichen Gesichtern in Echtzeit auf ein Minimum geschrumpft. Abgesehen davon, dass die meisten ihren Gesichtsausdruck durch die Maske auf ein Drittel reduzieren sollten und man sich in einer gesichtslosen Gesellschaft wieder fand.
Die surreale Situation, die mich zur Ruhe zwang, hatte bei mir einen reflexartigen Download von Gesichtern zur Folge.
Abend für Abend saß ich nun in meiner Küche, die Aufmerksamkeit auf mein inneres Gesichter-Archiv gerichtet, beide Hände im Ton. Die Wesen haben sich von selbst geformt, konnte ich später sagen. Beginnend mit der Kopfform, mäanderte manchmal ein Hund zu einer Schlange, um sich dann in einem mir bekannten Gesicht zu offenbaren, das dann akribisch zu Ende modelliert wurde.
Tatsächlich hatte ich nie eine Idee, wer sich zeigen würde, geschweige denn die Absicht, dass es ein mehrjähriges Projekt werden würde, das mittlerweile 108 Kleinplastiken umfasst.
Doing Time – Doing Creature fishing !
In der Abwesenheit des öffentlichen Lebens, der Welt da draußen, modellierte ich, gab den Geistern und den Stimmungen einen Kopf und kreierte mein eigenes Quarantäne-Tribe.
Die Gesichter sind Ausdruck verschiedener Identitäten von eigenständigen Lebewesen.
„Sad sack’s“ sind die, die offensichtlich von einer bösen Plage gezeichnet sind, andere sind durch die Maske verdeckt, wieder andere sind bis auf das fleischliche Gewebe entblößt. Einige schlafen, andere sind bereits schon lange tot, es gibt seltsame Phantasiewesen und Tiere, die ganz selbstverständlich zu den menschlichen Gestalten gehören. Dann die sich selbst einberufenen Freunde und Bekannte – Ailyn, Paul, Björn, Mareille, Melitta, Franki, Nadia, Christian, Barbara und viele mehr. All diese verschiedenen Gruppen gehören zu einer Wolke von Wesen, die mir erscheint und ständig wächst.
In den letzten drei Jahren habe ich durch den Ton die, die gesehen werden wollen, ins Leben gerufen. Eine befremdende Zeit, die mir wieder aufs Neue gezeigt hat, was mir bekannt und lieb ist. Ich bin verwandt mit dieser selbst geschöpften Gemeinschaft, auch wenn es mir manches Mal Bange macht.